Werden wir dümmer?
Seit Generationen wird über den Bildungsstand der Jugend diskutiert. PISA-Studien zeigen sinkende Leistungen, während unsere Aufmerksamkeitsspanne schrumpft. Doch ist das wirklich ein Zeichen von Dummheit – oder verändern sich einfach unsere Kompetenzen?
3/19/20253 min read


Dieses Zitat widerspiegelt ziemlich gut die Mainstream-Meinung über den Bildungsstand der Jugend. Allerdings wird dieses Zitat nicht etwa einem Bildungsforscher oder Gesellschaftskritiker aus der heutigen Zeit, sondern Sokrates (469–399 v. Chr.) zugeschrieben. Damit lässt sich bei diesem Thema genau etwas belegen. Jede Generation, hauptsächlich diejenigen, die einen Wandel wie die Industrialisierung, neue wissenschaftliche Erkenntnisse oder auch die Digitalisierung erlebt, wird erst als «Dümmer» abgestempelt.
Trotzdem ist dieses Phänomen nicht zu unterschätzen. Die heutig publizierten Messwerte zeigen relativ oft nach unten. Nehmen wir als Beispiel die PISA-Studie. Nahezu alle westlichen Länder verlieren an Schulleistung. Ein Viertel der 15-Jährigen in der Schweiz kann nicht lesen. Der Fynn-Effekt, dass die Menschen jedes Jahrzehnt 3–5 IQ-Punkte intelligenter werden, hat sich umgedreht. Aber woran liegt das? Die Meinungen gehen scharf auseinander. Beispielsweise wird die Migration aus ärmeren Ländern angeführt. Die dortigen Schulleistungen sind nicht so gut wie die in der Schweiz. Aber auch der Lehrermangel, die Ablenkung durch das Handy oder gar unsere Ernährung werden als Ursache für diesen Trend gesehen.
Vermutlich sind all diese Faktoren ein Teil des heutigen Trends. Man könnte auch die Folgen von Mikroplastik hinzufügen, obwohl es noch keine grosse wissenschaftliche Grundlage gibt. Zumindest ist es kaum vorstellbar, dass, wenn alleine das Gehirn Miroplastik von bis zu einem Teelöffel beinhaltet, das keinen Effekt auf unsere Denkleistung hat.
In der Schule werden heute, gerade im Kontext des Lernplan21, immer mehr die «Soft Skills», die Kompetenzen, behandelt. Daran wird häufig kritisiert, dass der «harte Kern», das Wissen, verloren geht. So wurde in einem Interview der Onlinezeitung Südostschweiz polemisch gefragt: «Besteht nicht die Gefahr, dass die Schüler lernen, wie sie lernen können, de facto aber nichts Konkretes lernen?» Auch wenn diese Frage das Thema stark vereinfacht, spiegelt sie eine populäre öffentliche Meinung wider. Woher kommt diese? Der Lernplan21 vereint grundsätzlich mehr Wissens- und Leistungsziele als jeder seiner Vorgänger. Zwei Fremdsprachen in der Grundschule, Informatik und Medienkompetenz sind ganz neue Handlungsfelder. Hat man sich übernommen? Gibt es zu viele, zu hohe Ziele? Leidet darunter die Qualität des Unterrichts, da man ständig von Thema zu Thema springt, aber nicht wirklich in die Tiefe geht?
Eigentlich ist diese «Oberflächlichkeit» gerade jetzt Zeitgeist. Von Aufgabe zu Aufgabe springen. Die Informatikprofessorin Gloria Mark stellte bei einer Studie einen dramatischen Rückgang der Fokusdauer fest. Während 2004 an einer Aufgabe ca. 2,5 Minuten gearbeitet wurde, war es 2019 noch 47 Sekunden. Und diese Studie wurde unabhängig von der Altersgruppe erhoben. Das legt nahe, dass der Wert bei jüngeren noch deutlich extremer ist. Jugendliche neigen heute dazu, viel schneller von Aufgabe zu Aufgabe zu springen. Der grösste Intelligenzzuwachs der neuen Generation liegt im Multitasking und dem Visuellen lernen. Um zu den Kennzahlen zurückzukommen. In keinem breit durchgeführten Test werden diese Kompetenzen abgedeckt.
Handelt es sich also heute um eine Verschiebung der Kompetenzen und weniger um einen Rückgang? Das heutige Wissen über die digitale Welt ist unvergleichlich, ja, für Teile der älteren Generation überhaupt nicht fassbar, wodurch wiederum diese Vorurteile entstehen. Trotzdem ist es kein Geheimnis, dass Werte wie Respekt, Disziplin und dem damit verbundenen Wissen über die Gesellschaft abhandengekommen sind. Das aber nicht nur in einer Generation, sondern in der gesamten Gesellschaft. Haben wir das aber nicht selbst abgeschafft? Wer liest heute noch Zeitung, wie hoch sind die Einschaltquoten der Tagesschau? Wann nehmen wir uns Zeit, über die Gesellschaft und unsere Rolle darin zu reflektieren? Kurzvideos schaden unserer Reflexion. Die Langeweile wird dadurch getötet, und damit die Zeit, in der man genau auf neue Ideen, Erkenntnisse, zur Reflexion kommt.
Während früher in der Schule noch philosophische Aspekte wie Gedichte oder Religion eine Rolle spielten, wurde dies durch Französisch, Englisch oder Informatik ersetzt.
Also: Werden wir immer dümmer? Ich glaube, es ist eine reine Definitionssache. Wir werden produktiver, energiereicher und technisch versierter. Einigen wird das zu viel werden. Sie werden «abstürzen» und als disziplinlose, arbeitsscheue bezeichnet werden. Die Frage aber, wer ist dümmer? Die Menschen, die sich zu Robotern gemacht haben? Diejenigen, die keine Kraft hatten, sich der Neuen Welt zu stellen? Machen die sich mehr Gedanken, oder flüchten sie auch einfach zu den Drogen, TikTok und Serien? Die Menschheit wird, in ihrem Drang nach Fortschritt und Wohlstand, die Menschlichkeit verlieren.
Ich glaube, dass die Generation, in der wir leben, der GenZ, der gesellschaftliche Wandel beginnt. Die einen lieben den Leistungsdruck, der Produktivität nachzujagen. Die anderen kommen nicht mehr mit. Uns wurde die Leistung in die Wiege gelegt. Zu Hause viel Gesellschaftliches Interesse, überhaupt nicht weitergegeben. In der Schule, die Intellektualität durch Skills ersetzt. Diese Generation ist nicht das Ende der Disziplin, sondern der Anfang eines viel grösseren Trends zur individualisierten, leistungsbasierten Gesellschaft, einer egoistischen, emotionslosen Gesellschaft.
„Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süssspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“